Die vielen leeren Figuren-Nischen an den Fassaden der Nürnberger Altstadtkirchen stellen für uns schon immer ein großes Ärgernis dar.
Ein mehr als deutliches Zeichen von kultureller und auch religiöser Armut. Nürnberg ist dabei kein Einzelfall.
Natürlich kann es nicht das Ziel sein, die wertvollen erhaltenen Steinfiguren wieder an die Fassaden zu setzen. Über 3-D-Scanning könnte man diese Skulpturen aber vermessen – und dann per Maschine/Roboter 1:1 nachfräsen. Warum nicht in einem haltbaren, wetterbeständigen und leichterem Material (als Stein)?
Mehrere der seit dem 19. Jahrhunderts und spätestens nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs leeren Figuren-Nischen an den Nürnberger Altstadtkirchen lassen sich digital wieder mit der der früheren oder sogar der originalen Steinskulptur besetzen.
Dabei rekonstruierten wir an den erhaltenen Skulpturen fehlende Teile – wie Arme, Nasen und Flügel. Auch ein Steinrelief können wir wieder in Erinnerung bringen.
Zu den aktuell 31 Motiven:
I. Sebalduskirche
Der „Schmerzensmann“ an der Sebalduskirche aus dem Jahre 1437 – wieder am alten Platz. Damals eine Stiftung der Nürnberger Patrizierfamilie Rieter. Die erhaltene Steinfigur, eine Christus-Darstellung, befindet sich im Germanischen Nationalmuseum. Wir rekonstruierten die fehlenden Hände, die Nase und die Arme der Figur.
Hier der seitliche Blick auf die aktuell leere „Schmerzensmann“-Konsole. Links eine Abbildung der Ersatzfigur vom Ende des 19. Jahrhunderts. Diese ging 1945 verloren. Rechts die originale Figur aus dem GNM. Der Künstler links schuf damals keine exakte 1:1-Kopie.
Die beiden Figuren-Nischen am südlichen Weltgerichtsportal der Sebalduskirche sind per se nicht leer, aber aus unserer Sicht in einem optisch nicht schönen Zustand: grobes Maschen-Taubengitter ist um die Repliken der Originalfiguren gelegt. Diese Kopien scheinen zudem aus einem nicht haltbaren Gussmaterial zu bestehen. Die „Petrus“-Figur hat seinen Kopf schon verloren. Und die Replik der „Katharina“ ist optisch gespensterweiß zu sehen. Links die von uns ergänzte Abbildung der erhaltenen Figur der „Katharina“, rechts die originale „Petrus“-Figur aus dem GNM.
Die Steinplastik der „Heiligen Katharina“ gehört zu den bekanntesten Exponaten der Sebalduskirche. Links der aktuelle Zustand, in der Mitte eine Abbildung der komplett erhaltenen Figur und rechts die Kombination aus beiden Motiven am derzeitigen Platz in der Kirche. Das fehlende Wagenrad, der Knauf des Schwertes, die fehlende Nase und eine frühere (vergoldete?) Haube über der Krone ergänzten wir dabei.
Das „Schedel´sche Stein- oder Grabrelief“ an der Südseite der Sebalduskirche. Herrmann Schedel starb im Jahre 1485. Rechts unten eine Fotografie des erhaltenen Reliefs – oben die ramponierte Version im Bestand des GNM. Links das Steinrelief rekonstruiert wieder am alten Platz eingebaut.
Wir geben dem erhaltenen Steinrelief seine Seele zurück: über die erhaltene Ansicht des Reliefs (helle Farbe) können wir die jetzt fehlenden Gesichter, die Hände und den damaligen Rahmen rekonstruieren. Auch die vier Engel oben sind wieder komplett.
Unserer Meinung nach war dieses Relief vom Künstler nie für den Außenbereich geplant. Alles ist sehr filigran und kleinteilig gemeißelt. Durch die damals harten Winter mit Frost-Perioden mussten die Köpfe und Hände irgendwann abfallen. Dass dies vom Künstler nicht bedacht wurde, halten wir für unwahrscheinlich.
Am südlichen „Dreikönigsportal“ der ´Sebalduskirche´ war bis 1945 eine „Schmerzensmann“-Figur aus der Zeit um 1370/80 zu sehen. Diese Skulptur stiftete die Nürnberger Patrizier-Familie Pfinzing.
Die „Pfinzing´sche-Schmerzensmann“-Figur hier in der Frontal-Ansicht am „Dreikönigsportal“ der ´Sebalduskirche´. Die Originalfigur (links) steht aktuell geschützt im Innern der Kirche. Rechts eine farbig gefasste Kopie dieser Figur aus dem späten 19. Jahrhundert. Diese steht ebenfalls im Kircheninnern. Eventuell war das Original (aus dem späten 14. Jahrhundert) ursprünglich auch bemalt.
Eine Skulptur an der Fassade einer gotischen Kirche ohne schützenden und schmückenden Baldachin darüber ist für uns nicht vorstellbar. Allein schon die zahlenden Auftraggeber hatten ein Interesse daran, dass die gestiftete Figur möglichst lange erhalten bleibt. Wir schlagen beispielhaft zwei Baldachin-Varianten (vom „Weltgerichtsportal“ der ´Sebalduskirche´) vor. Diese wurden rund 50 Jahre vorher geschaffen.
Im Lauf der Jahrhunderte verwitterte die linke Gesichtshälfte der ´Schmerzensmann´-Skulptur. Wir rekonstruierten das Fehlende digital. Der strenge und zusammengekniffene Mund fällt auf. Und der ermahnende Gesichtsausdruck an den Betrachter – damals gläubige Menschen. Die blockhafte Nase erinnert uns etwas an romanische Kunstwerke. Bildhauer der Gotik arbeiteten eigentlich filigraner.
Am „Dreikönigsportal“ an der Südseite der ´Sebalduskirche´ stehen rechts aktuell die Kopien von zwei Bischofs-Figuren. Die ursprünglich grauen (Guss-)Kopien haben über die Jahre eine gespensterweiße Farbe angenommen. An den Bildseiten stehen die Originalfiguren. Diese befinden sich geschützt im Bestand des „GNM“.
Die Steinfigur „Fürst der Welt“ steht aktuell im Innern der Sebalduskirche. Jahrhundertelang stand sie ursprünglich im Freien. Wir zeigen den ehemaligen Originalplatz der Skulptur an der Nordfassade der Kirche.
An der Nordfassade der Sebalduskirche befand sich bis in das 19. Jahrhundert hinein eine Stelle mit drei Skulpturen direkt nebeneinander. Wir recherchierten die aktuell fehlenden Originalfiguren: zwei „Muttergottes“-Darstellungen (mit dem Jesuskind) um 1370/80 sowie einen „Propheten“ mit gefalteten Händen. Oben rechts zum Vergleich eine Zeichnung der Originalfiguren aus dem Jahre 1838 von Georg Christoph Wilder. Bis 1945 befand sich die mittlere Skulptur noch an ihrem Platz.
II. Frauenkirche:
Der „Erzengel Gabriel“ oder der „Verkündigungsengel“ am Nordportal der Frauenkirche. Links die rekonstruierte Figur – rechts das ramponierte Original. Wieder im Bestand des ´GNM´ erhalten. Wir geben dem Engel seine Flügel und Hände zurück.
Hier das komplette Nordportal mit den im ´GNM` erhaltenen und ausgestellten Steinplastiken (beide um 1360). Links die Darstellung der „Schwangeren Maria“, die das Evangelium verkündet. Rechts wieder die Darstellung des „Erzengels Gabriel“. Die Figuren links und rechts wurden aus unterschiedlichen Steinsorten gefertigt. Da diese Figuren im Hochmittelalter aber evtl. bemalt waren, spielte das damals keine Rolle.
Die beiden früheren Steinfiguren vom Südportal sind zum Glück ebenfalls noch erhalten – und im ´GNM´ ausgestellt (beide um 1360). Die Höhe der Figuren und vor allem deren früherer Platz sind von uns historisch richtig gewählt. Links die „Schwangere Maria“, rechts der „Verkündigungsengel Gabriel“.
Auch die früheren Originalfiguren am Nordportal der Frauenkirche konnten wir rekonstruieren. Links die schwangere Maria, rechts der „Verkündigungsengel“ Gabriel (mit Flügeln und Händen). Rechts, zum Hauptmarkt hin, ist eine „Mariendarstellung“ zu erkennen.
Hier die „Marien-Darstellung“ von vorne. Seit 1945 fehlt diese schöne Figur an der Schauseite der Frauenkirche. Tausende von Menschen blickten bei der Eröffnung des Christkindlesmarktes seitdem ungewollt auf diese Lücke. Geschätzt 10 Meter weiter rechts steht das Christkind und hält seine Ansprache. Es kann bei den heutigen computer-maschinellen Möglichkeiten nicht so schwierig sein, eine Kopie dieser Figur zu erstellen. Roboter können diese Aufgabe übernehmen.
Hier der Nahblick auf den kriegsverwundeten „Erzengel Gabriel“. Trotz aller Beschädigungen hat die Figur ihre Schönheit bewahrt. Der Kopf scheint nach 1945 wieder auf den Rumpf gesetzt worden zu sein. Auch der Torso unten zerbrach in zwei Stücke (siehe Bild oben).
Ergänzung vom Juni 2023: Zum früheren Innenraum im Bereich des Ostchors der ´Frauenkirche´können wir neues Bildmaterial zeigen. Am Rand sind die jetzt fehlenden Figuren größer zu erkennen. Die linke Skulptur fehlt seit 1945, die rechten seit dem 19. Jahrhundert.
Hier die Nah-Ansicht auf die rekonstruierten früheren Steinskulpturen. Die leeren Konsolenplätze schmerzen nicht mehr in den Augen. Der Blick bekommt mehr Erbauung.
Alle aktuell fehlenden und rekonstruierten Stein- und Holzfiguren im Ostchor der ´Frauenkirche´ sind auf diesem Motiv zusammen zu sehen. Die Jesus-Darstellung mit dem Holzbogen wurden erst nach 1945 entfernt. Sie überstand die Bombenangriffe.
III. Lorenzkirche:
Bildquelle (Figuren): Grafische Sammlung der Stadt Nürnberg (RORICH_C_GrAoNr)
Die recherchierten und aktuell fehlenden Steinskulpturen an den Strebepfeilern der Westseite der Lorenzkirche (um 1360 geschaffen). Die Figur des „Heiligen Laurentius“ links außen ist als Abguss vorhanden – die drei Figuren daneben fehlen seit zirka 1850. Erstmals ist zu sehen, wie diese Figuren ausgesehen haben: eine (Jesus-)Figur, die ein Kreuz hält, daneben eine Marien-Darstellung (mit Lilien-Zepter) und ganz rechts eine Figur des „Heiligen Petrus“ – diesem fehlen die Hände.
Über die Art des verwendeten Steins (und damit verbunden die Farbigkeit der Figuren) lässt sich nichts sicheres sagen. War es roter (weicher) Sandstein oder harter Worzeldorfer Quarzit?
Hier sind alle vier Strebepfeiler-Figuren der Westseite (und der Nord- und Südecke) größer zu sehen – und mit dem Versuch einer farblichen Angleichung. Die zweite Figur von link, der ´Heilige Lorenz´, ist im Innern der Kirche noch mit der originalen Alterspatina erhalten. Auf dieser Farbgrundlage gleichten wir die anderen Figuren optisch an. Die Figur ganz rechts, hat diese Schmutzpatina nur noch leicht (siehe Bild unten). Um 1360 hatten alle Skulpturen daher wahrscheinlich diese für Nürnberg typische Sandsteinfarbe. Oder waren bunt bemalt.
Die beiden erhaltenen Figuren von der Südseite der Lorenzkirche. Die linke Figur steht aktuell versteckt im „Tugendbrunnenportal“ der Kirche, die rechte steht ebenfalls versteckt derzeit im Eingangsbereich der Kirche.
Die Figur an der Südwestecke der Lorenzkirche in einem anderen Blickwinkel. Wir sind uns sicher, dass diese schön-lächelnde Figur einst (bis zum 19. Jahrhundert) ihren Platz hier hatte. Wer hier dargestellt ist, lässt sich leider nicht sagen. Die Figur wurde um das Jahr 1360 geschaffen. Aktuell steht hier eine andere Figur, ein „Schmerzensmann“ (siehe auch das nächste Motiv).
Am nordwestlichen Strebepfeiler befand sich bis 1945 jahrhundertelang die Figur eines „Schmerzensmannes“. Wir sind die ersten seit über 75 Jahren, die den alten Zustand wieder in Erinnerung rufen. Links sieht man die unwürdige aktuelle Optik: die Konsole und der Baldachin wurden nach 1945 brutal abgeschlagen. Kulturelle Selbstkastraktion. Eine Kopie des „Schmerzensmannes“ ist aktuell am südwestlichen Strebepfeiler zu sehen. Dort befand sich diese Figur aber nie. Die Platzierung erfolgte nach 1945 rein willkürlich.
Die selbe Steinfigur an der Nordwestecke der Lorenzkirche, ein „Schmerzensmann“, von der Seite. Die Konsole und der Baldachin wurden nach 1945 brutal abgeschlagen. Kultureller Vandalismus.
IV. Jakobskirche:
Hier der erste Entwurf für das Nordportal der Nürnberger Jakobskirche. Dieser Eingang ist seit 1945 ohne jeden Figurenschmuck. Nach den Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg wurde das Portal komplett neu errichtet. Vor 1945 haben sich hier aber Skulpturen befunden. Für dieses Motiv übernahmen wir die erhaltenen Konsolen und Baldachine vom Südportal der Kirche. Deren genauer Platz in der Wand ebenfalls 1:1. Die abgebildete „Madonna“ (um 1370/80) befindet sich aktuell im Chor der Kirche. Nach Sachlage soll sie sich bis 1945 am Nordportal befunden haben. Die Blickrichtung der Figur geht leicht nach rechts. Deshalb geben wir ihr den Platz links von der Tür. Die Figur rechts zeigt einen „Schmerzensmann“ (ähnliches Alter). Auch diese Figur befindet sich aktuell im Chor der Kirche. Aus diversen Gründen war eine Fotoaufnahme nicht möglich. Daher hier vorerst eine bearbeitete Schwarz-Weiß-Aufnahme der Skulptur.
V. Marthakirche:
Auch dieses Motiv stellt einen „Arbeitsentwurf“ dar. Zu sehen sind die beiden Eingangstüren zur Nürnberger Martha-Kirche. Ein Stich von 1701 zeigt die damals noch vorhandene Figur auf der Konsole zwischen den Türen. Vor 1800 wurde diese Figur dann leider entfernt. Der Charakter der Steinfigur wird aber deutlich: Blick in Richtung auf die Kirchenbesucher, gefaltete Hände, keine Attribute in der Hand.
—
ERGÄNZUNG VOM 7. Juli 2023:
Wir fügen zu dieser Rubrik die neu recherchierten Skulpturen am ´Heiden- oder Margaretenturm´ der Nürnberger ´Kaiserburg´ hinzu. Details-Infos: https://www.rekonquista.de/die-skulpturen-am-heidenturm-der-nuernberger-kaiserburg-rekonstruktion-und-beschreibung/
An der Ostseite des ´Heiden- oder Margaretenturms´ fehlt links die frühere Steinskulptur. Wir recherchierten hierzu – und können diese Figur nun zeigen. Durch Kriegseinwirkung (Luftdruck etc.) wurde sie am 2. Januar 1945 nicht zerstört. Ein Reiseführer aus dem Jahre 1942 beschreibt sie als „jetzt zerstört“. Dargestellt ist die Kaiserin Kunigunde. Rechts ihr Mann, Kaiser Heinrich II. Beide Skulpturen halten symmetrisch eine Art Zepter in beiden Händen.
Die frei gestellten Steinskulpturen fehlen aktuell nicht. Wir zeigen diese Figuren ´nur´ in einer Nah-Ansicht. Links Kaiser Heinrich II., danach die Apostel Paulus und Petrus.
Hier ein neues Recherche-Ergebnis: links die erhaltene Steinfigur des Apostels Paulus, danach das in weiß abgesetzte rekonstruierte Gesicht, die fehlenden Hände plus Attribute (Bibel und Schwert) und am Schluss das farblich angeglichene Ergebnis.